[A-DX] Kabul heute.

Christoph Ratzer
Sonntag, 15. August 2021, 23:22 Uhr


Von der österreichischen Journalistin Corinna Milborn in Facebook von Elisabeth Rubin weitergeleitet:
(Übersetzung hier für A-DX)



Hier ist eine Textnachricht, die ich von einer Fernsehmoderatorin erhalten habe: 

"Heute Morgen um 7:30 Uhr machte ich mich wie immer bereit, ins Büro zu gehen.

Um 7.35 Uhr verließ ich das Haus und alles war ruhig und sicher.
Niemand konnte glauben, dass wenige Stunden später die Taliban in Kabul einmarschieren würden.

Um 7:55 Uhr erreichte ich den Fernsehsender und begann zu arbeiten, um herauszufinden, wie die Lage ist
in Afghanistan. Auf Facebook fand ich einige Meldungen, die besagten, dass die Taliban heute Abend in Kabul einmarschieren würden. 
Aber wir haben es ignoriert.

Um 10 Uhr kam plötzlich ein Kollege und sagte: 'Nehmt alle eure Sachen mit. Die Situation ist schrecklich.
Die Taliban sind am Kotal Kabul (Bergpass in Kabul).  Geht schnell nach Hause.'
Alle wurden sehr unruhig und wir gingen zu unserem Chef, um zu fragen, was wir tun sollten.
Er sagte: "Weil ihr für die Medien arbeitet, dürfen sie euch nicht sehen, sonst werdet ihr möglicherweise getötet."
Ich holte alle meine Sachen aus dem Büro und zog meinen Hidschab an, damit mich niemand auf dem Weg dorthin erkennen würde. Ich verließ das Fernsehbüro zusammen mit einer Kollegin, die ebenfalls Moderatorin ist, und wir hofften einfach, dass wir nicht auf die Taliban stoßen würden. Als wir das Büro verließen, bemerkte ich, dass alle in ihre Häuser rannten.
Wir gingen zu der Straße am Hang zu unserer Linken, aber kein Taxifahrer wollte uns mitnehmen, weil wir weiblich waren und sie Angst hatten, dass man sie mit einem Mädchen ohne Mahram (männliche Begleitperson) sehen würde.

Wir liefen 20 Minuten lang, bis ein freundlicher, menschlicher Mensch mit einem Motor kam und uns mitnahm. 
Wir gingen zu den Tamini-Projekten. Alle waren auf der Flucht. Alle Geschäfte waren geschlossen. 
Die Straßen waren voller Autos und Lastwagen, und alle Mädchen und Frauen rannten, um so schnell wie möglich nach Hause zu kommen, falls die Taliban das Gebiet erreichten und ihnen etwas antaten.

Meine Familie rief von zu Hause an: "Kommt schnell! Also sagten wir unserem Fahrer, er solle einen anderen Weg nehmen. Die ganze Zeit über sahen wir eine Stadt, die in Angst und Schrecken versunken war. Und alle rannten.

Als wir nach einer Stunde zu Hause ankamen, hörten wir die Stimme von Payham Fir, der sagte, die Taliban seien in der North Road, drei Minuten von unserem Haus entfernt. Wieder schaute ich in den sozialen Medien nach, wo ich Bilder von den Taliban in Saraj I Shamali (dem nördlichen Markt) sah, die den Mädchen sagten, sie sollten schnell nach Hause gehen. Sie sollten nicht wieder herauskommen. Als ich diese Videos und Fotos sah, verlor ich meine Seele und meinen Verstand. Ich habe mich selbst verloren. Ich fühlte mich geistig so schwach. Ich sagte mir, dass all die Anstrengungen all dieser Jahre umsonst waren. Wir haben so viel gelernt. Wir sind früh morgens aufgestanden, um zur Universität zu gehen. Wir haben uns so angestrengt. Alles ist verloren. Alles ist weg.
 
Ich sage mir, dass eines Tages der Tag kommen wird, an dem wir wieder in aller Ruhe ausgehen und lernen können. Eines Tages werden wir wieder zum Fernsehsender gehen und unsere Sendungen präsentieren können. Auch wenn all diese Fragen unbeantwortet sind, werden wir uns nicht der Hoffnungslosigkeit hingeben. Ich werde versuchen, meine Ziele zu erreichen, wenn man mich lässt. So Gott will, sollen die afghanischen Frauen nicht mehr gefoltert werden. Erlaube ihnen bitte, zu strahlen und wieder aufzugehen wie die Sonne.“



Here is a text message I received from a female television presenter: 
"At 7:30 am today as usual I was getting ready to go to the office.
At 7:35 I left the house and everything was calm and safe.
No one could believe that a few hours later Taliban would enter Kabul.
At 7:55 I reached the television station and began to working, trying to find out what’s going on with the situation
In Afghanistan. I found a few things on Facebook that said it’s possible the Taliban would enter Kabul tonite. 
But we ignored it. 
At 10 am suddenly a colleague came and said, ‘Take all your stuff. The situation is terrible.
The Taliban are at Kotal Kabul (Kabul’s mountain pass).  Go home quickly.’
Everybody became very anxious and we went to our boss to ask what we should do.
He said, “Because you’re working in the media they must not see you or you will possibly get killed.”
I gathered all my stuff from my office and put on my hijab so nobody would recognize me on the way. I left the TV offices with a colleague who is also a female presenter and we just were hoping that we wouldn’t bump into the Taliban. When we left the office I noticed everybody was running to their homes.
We went to the road on the hillside to our left but no taxi driver would take us because we were female and they were scared that they’d be seen with a girl without a mahram (a male chaperone). 
We walked for 20 minutes until a kind, humane person came with a motor and took us on our way. 
We went to the Tamini projects. Everybody was running away. All the shops were closed. 
The streets were full of cars and trucks people and all the girls and women were running to make sure they got home as soon as possible in case the Taliban reached that area and hurt them. 
My family was ringing from home saying, Come quickly. So we told our driver to go another way. The whole time we saw a city engulfed in fear and terror. And everyone running. 
After an hour we arrived home and we heard the voice of Payham Fir saying the Taliban are in the North Road, three minutes away from our house. Again I looked on social media where I could see pictures of the Taliban at Saraj I Shamali (the northern market) telling girls to go home quickly. Don’t come out again. When I saw these videos and photos I lost my soul and my mind. I lost myself. I felt so feeble mentally. I told myself that all the efforts of all these years have been lost. We studied so much. We woke up early in the morning to go to University. We tried so hard. Every is lost. All is gone. 
I tell myself that one day will arrive when we can go out with comfort and study again. One day will arrive when we can go to the TV station again and present our programs. Even though all these questions are unanswered, we won’t give into hopelessness. I will try to reach my goals if they allow me. God willing that Afghan women should not be tortured again. Allow them please to shine and rise again like the Sun.“



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