Re: [A-DX] Buch "Hearing is Believing"

Roger Thauer
Samstag, 30. September 2023, 07:36 Uhr


Am 29.09.2023 um 19:23 schrieb Patrick Robic:
> Da es sich um wissenschaftliche Texte handelt, die auch mit 
> zahlreichen Fußnoten versehen sind, ist das Buch teilweise nicht sehr 
> flüssig zu lesen - der Inhalt ist aber durchaus interessant. 

https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-112367

Der Schwerpunkt dieses von der Wiener Zeit- und Medienhistorikerin Karin 
Moser herausgegebenen Bandes liegt bei Radioprogrammen der Zeit des 
Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit, die manchmal für die 
Hörenden unmittelbar als propagandistisch gefärbt zu erkennen waren, 
manchmal aber erst auf den zweiten Blick. Die 15 – notwendig ziemlich 
kurzen – Beiträge (dazu kommen ein Editorial und ein Dokumentationsteil) 
schildern den Gegenstand nicht allein von gesendeten Inhalten oder den 
Sendungskonzepten her, sondern widmen sich auch deren jeweiligem 
medialen Setting. Es geht nicht nur um Österreich und Deutschland, 
sondern auch um die USA und, für die Zeit nach 1945, die Sowjetunion.

...

In transnationaler Perspektive zeigt als erstes Philipp Henning die 
Versuche auf, über einen getarnten Auslandssender des deutschen 
Reichsrundfunks „Zersetzungs- und Verwirrpropaganda“ in arabischer 
Sprache zu betreiben. Hier suchte man Antisemitismus und antikoloniale 
beziehungsweise antibritische Polemik zu kombinieren. Die professionelle 
Hilfe von Exilierten, Kriegsgefangenen und Kollaborateuren ermöglichte 
zwar die Durchführung dieses Hass-Programms, aber es gab zu wenig 
Vorwissen über die Einstellungen und die Sprachwelt der Hörerschaft. 
Weniger ausgeprägt war der propagandistische Charakter von Vorträgen zu 
Fortschritten der Bodendenkmalpflege und Archäologie im Staatsgebiet von 
Österreich vor und nach 1938 (Florian-Jan Ostrowski). Anhand der vom 
Autor geleisteten Auflistung von einschlägigen Sendungen kann man kaum 
erkennen, ob ein gesendeter Wortbeitrag wirklich mit 
politisch-ideologischen Inhalten gespickt war. Allerdings deuten einige 
Vortragstitel auf die wachsende Ideologisierung des Fachgebietes nach 
1939 hin.

In den Anfangsjahren des Mediums gewann der „Hörfilm“ an Boden, womit 
Hörspiele und Reportagen gemeint waren. Im Artikel von Christine Ehardt 
werden dazu nicht die Botschaften der Sendungen untersucht, sondern es 
wird das Mediengenre in seiner ästhetisch-propagandistischen Bedeutung 
eruiert. Michael Kuhlmann weist detailliert und kundig die aktive Rolle 
des – dezidiert politisch aufgestellten – RIAS („Rundfunk im 
amerikanischen Sektor“ von Berlin) beim Aufstand des 17. Juni 1953 nach. 
Kuhlmann zeigt in seiner packenden Schilderung, wie sich Ereignisse und 
Berichterstattung gegenseitig hochschaukelten. Seit der Mittagszeit des 
17. Juni und den einsetzenden Opfermeldungen hielten es die 
Verantwortlichen allerdings für angebracht, zu deeskalieren.

Adrian Hänni berichtet über das bislang in der Forschung unbekannte 
„Radio Omega“, das vom Staatssekretariat des Heiligen Stuhls finanziert 
wurde; mit diesem Sender und durch Kontakte zu „Radio Free Russia“ 
wollte man im Vatikan den atheistischen Kommunismus bekämpfen. Der 
Broadcasting Service des „United States Information Service“, der 
zwischen 1948 und 1990 aktiv war, wird von Anton Hubauer als (relativ 
diskrete und niveauvolle) Form der „Public Diplomacy“ charakterisiert. 
So ging es in Interviews mit bekannten Wissenschaftlern um Fortschritte 
beim „Space Race“ mit den Sowjets. Eine explizite Thematisierung der 
Zeit des Nationalsozialismus (NS) unterblieb bei der „Voice of America“ 
weitgehend – der drohende dritte Weltkrieg ließ das Thema in den 
Hintergrund treten. Dazu passend untersucht Frank Mehring das 
US-amerikanische Radioformat „I’m an American“. Es bestand aus 
Interviews mit prominenten Europäern, die recht euphorisch darüber 
berichteten, wie gastfreundlich sie bei ihrer Ankunft in den USA 
aufgenommen worden seien. Der Autor geht auf die Statements von Thomas 
Mann, Kurt Weill und Albert Einstein ein und meint, dass die Sendung für 
die Zuhörenden zu einer Art „Nervenkitzel“ geworden sei. Nicht alle 
Interviewten versäumten es übrigens, auf die Defizite amerikanischer 
Demokratie hinzuweisen – was die Glaubwürdigkeit der ganzen Sendereihe 
gestärkt haben muss.

Näher in die mediale Inhaltsanalyse begibt sich Cornelia Szabó-Knotik 
zur Berichterstattung über heimkehrende österreichische Kriegsgefangene. 
Der Ablauf der Sendungen und späterer Wiederholungen wird hier gut 
nachvollziehbar beschrieben: Zunächst kam der Sound des Ankommens am 
Bahnhof, gefolgt von Begrüßungen und Ansprachen sowie durch suggestive 
Fragen der Reporter veranlassten O-Tönen der Heimgekehrten. Später 
unterrichtete man die Hörerschaft darüber, wie gut doch inzwischen die 
Heimgekehrten versorgt worden seien. Die Autorin arbeitet heraus, wie 
die Grundmotive der Trauer, der Heimat und der „richtigen“ Rolle der 
Frauen prononciert wurden. Es handelte sich also nicht um explizite 
Propaganda, sondern um eine stark gefärbte, komplex organisierte und 
emotional berührende, indes tendenziöse Live-Berichterstattung für ein 
inländisches Publikum; die Quellensituation ist in Österreich für solche 
Untersuchungen überaus günstig.

Großes Potenzial hat der Artikel von Felix Berge, der zum Thema des 
Zusammenhangs von Rundfunkpropaganda und „Gerüchtemacherei“ ein 
weiterführendes Forschungsprojekt betreibt. Zwar versuchten die 
Nationalsozialisten schädliche Gerüchte durch den Rundfunk zu bekämpfen, 
zugleich wurden diese aber, so die These Berges, zunehmend als Mittel 
der eigenen viralen Kriegsführung eingesetzt.

Vielversprechend ist neben den transnationalen Akzentsetzungen, dass im 
vorliegenden Band intensiv auf Musikprogramme eingegangen wird. 
„Musikpropaganda“ untersucht Valentin Bardet am Beispiel des 
Südwestfunks im Rahmen der sehr aktiven französischen Kulturpolitik. 
Stephan Summers widmet sich den zensierten Musikprogrammen 
amerikanischer Besatzungssender. Elias Berner zeigt auf, dass im 
Nachkriegsösterreich das am einheimischen Geschmack orientierte Musik- 
und Kabarettprogramm des Senders „Rot-Weiß-Rot“ für Volkstümlichkeit und 
„antikommunistische Einstellung“ stand. Als Reaktion auf inzwischen 
leicht im Radiotransistor empfangbare westliche Musik sah sich die 
sowjetische Führung 1964 dazu genötigt, eine eigene und innovative 
Version von Formatradio anzubieten. Hörerinnen und Hörer konnten die 
Titel mitschneiden. So entwickelte sich ein „Radio-Soundscape des 
alltäglichen Sozialismus“ (Kristina Wittkamp).

Wie aktuell das Gesamtthema ist, zeigt gleich zu Beginn des Bandes 
Solveig Ottmann am Beispiel der Identitären Bewegungen auf, die direkt 
auf YouTube senden. Schließlich sei auf den eigenen Beitrag von Karin 
Moser eingegangen: Aufgrund einer ersten Sichtung der Sendungen, die aus 
dem Bestand der „Voice of America“ in der österreichischen Mediathek 
eruierbar sind, arbeitet die Autorin heraus, wie mit „einem vertrauten 
Idiom“ gearbeitet und das Vorwissen der österreichischen Rezipienten 
bedient wurde. Man schaffte es hier, „geläufige Sprachbilder, Motive, 
Symbole, musikalische Elemente und Narrationen“ aufzugreifen. Moser 
betont die emotionalisierende Strategie, die einer solchen Sendung 
zugrunde lag. Ihre Analyse erweitert so das methodische Repertoire 
üblicher Propagandaforschung.

Alles in allem vermag der Sammelband einem mittlerweile schon ziemlich 
erschöpfend behandelten Forschungszweig neue Impulse zu geben – durch 
den Einbezug wenig bekannten Archivmaterials, das Augenmerk auf Musik, 
emotionalisierende Formate und Kommunikationsweisen sowie die 
Einbeziehung transnationaler Perspektiven. Insbesondere ist 
hervorzuheben, dass die früheren weitverbreiteten Annahmen über 
geradlinige Effekte von Radiopropagandasendungen inzwischen einer 
differenzierenden diskursgeschichtlichen und mediengeschichtlich 
informierten Sicht gewichen sind.


roger