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[A-DX] BRD usw. <Achtung: sehr lang>


  • Subject: [A-DX] BRD usw. <Achtung: sehr lang>
  • From: "Wolf Harranth" <harranth@xxxxxxx>
  • Date: Thu, 2 Dec 1999 00:28:59 +0100

Ich werde wiederholt von einem Listenteilnehmer zu einer Stellungnahme zu BDR aufgefordert, ein anderer fordert "mehr Rückgrat" von mir - dies alles wahrscheinlich, weil ich den von den Proponenten erwarteten Schulterschluss nicht vollzogen habe. Nun habe ich allerdings bereits angemerkt, dass ich mich an polemisch und/oder emotional geführten Auseinandersetzungen  grundsätzlich nicht beteilige. Als Journalist habe ich meinen Anteil geleistet und zur Entscheidungshilfe beigetragen: In "intermedia" wurde das Thema aufgegriffen - ein paar Wochen vor jenem Termin, an dem ich dies für sinnvoller gehalten hätte, daher war die Substanz noch recht dünn; aber immerhin kann man somit die derzeitige Position der im ORF für die Sache Zuständigen erfahren, analysieren, darauf reagieren.
 
Wer damit zufrieden ist, muss nicht mehr weiterlesen.
 
73 de Wolf
 
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Wer damit nicht zufrieden ist, muss sich mit einer Handvoll Zusatz-Gedanken ausdrücklich privater Natur begnügen.
 
Vorschlag für ein Gedankenspiel: Wir versetzen uns in die Telefonzentrale des Kundendienstes, an den Arbeitsplatz der Poststelle, vor den Monitor für die Internet-Reaktionen im ORF. 99% der Anrufe, Briefe, e-mails sind hoch emotionalisiert, spontan, im Affekt losgeschleudert. So gut wie immer ist der Ausgangspunkt, dass der Initiator eine höchstpersönliche Ansicht vertritt und diese rigoros zum Maß aller Dinge macht: so wie er denken "alle", basta. So gut wie immer fühlt sich der Initiator entweder in seiner Anonymität geborgen (daher wird risikolos geferkelt und gegeifert, was das Zeug hält) oder er droht mit der Macht seines Einflusses, seinen Verbindungen zu den höchsten Stellen...  -- Stellt Euch jetzt eine durchschnittliche "Zeit im Bild" vor. Anhänger jeder politischer Richtung orten in der Berichterstattung schlimmste Manipulation: Wortwahl und "Argumentation" der empörten Reaktionen sind deckungsgleich, man braucht bloss die Namen der Parteien oder Politiker zu variieren. Zur Sturmflut schwillt die Welle aber erst, wenn sich Frau Resetarits in einer neuen Frisur zeigt ("De Huur!" - "Schweinerei!" - "Krepieren soll's, die jüdische Drecksau"...).
Themenwechsel: Jemand vermisst im Augenblick das ihn persönlich ansprechende Programm - schon wird der ORF ínsgesamt lautstark bezichtigt, generell unfähig zu sein, "gute Programme" zu bieten... 
Genug des Gedankenspiels. Die Menschen am anderen Ende der Leitung sind geschult, eine dicke Haut zu zeigen, höflich zu reagieren (und sei es mit Gemeinplätzen), das Wenige an Substanz herauszufiltern und zu protokollieren. Der Rest ist allenfalls Statistik ("230 Anrufer lehnen die neue Frisur von Frau Resetaris ab, 126 finden sie gut").
 
Wozu der lange Vorspann? Um ganz prinzipiell, nicht unter Bezug auf die konkreten Äußerungen der BDR-Freunde, zu verdeutlichen, dass selbst mit der zivilsten Form von Affekt nichts erreicht wird, der gewünschte Effekt bestenfalls reduziert wird; schlimmstenfalls ist das Ergebnis sogar kontraproduktiv.
 
Nächster Punkt: In der Demokratie kann jeder sagen, was er denkt. Es kann aber auch jeder von derlei Aussagen halten, was er will. Es ist also durchaus gestattet, z.B. die Phrasen vom "Staatsrundfunk", von den "Zwangsbühren", von "Medien-Albanien" usw. zu gebrauchen. Es ist aber auch durchaus gestattet,  diese Phrasen für blanken Unsinn zu halten und den Verbreitern solcher Äußerungen ein Niveau zuzuschreiben, das sie als Partner für seriöse Auseinandersetzungen ausschliesst. Anders gesagt: Es schadet nicht, sich fundierte Kenntnisse und stichhaltige Argumente zu verschaffen, wenn man etwas erreichen will. Wer seine Meinung sachlich begründen kann, ohne Selbstschädigung durch Emotion und schmückende Beiworte, hat die bessere Position.
 
Schließlich: Man mag von der Demokratie halten, was man will. Aber gerade wir Hobbyfreunde sollten als Ohren-Zeugen wissen, was Unfreiheit bedeutet - sie beginnt bereits an den Grenzen unseres Staates. Es ist also falsch und schädlich, demokratische Instrumente zu diskreditieren oder zu ignorieren. Die Demokratie funktioniert - dann aber sehr wirkungsvoll - immer noch am besten, wenn man sich unbeirrt ihrer Instrumente bedient.
 
Falls Euch alle diese Vorreden zu abstrakt und zu sehr nach Sonntagspredigt klingen, will ich sie in ein konkretes Beispiel übertragen. Nehmen wir an, der ORF plane, ein Programm - nennen wir es BDR - ab- und durch ein anderes Format zu ersetzen. Nehmen wir an, jemandem sei aber ausgerechnet dieses Programm so sehr ans Herz gewachsen, dass er nicht tatenlos zusehen möchte, wie es verschwindet. Und jetzt geht's los:
 
Brief (e-mail) an die Hörfunk-Intendanz: Ich habe gehört, BDR solle eingestellt werden. Als langjähriger Stammhörer trifft mich das tief. Haben Sie tatsächlich die Absicht,... ? Warum? Welche wesentlichen Merkmale von BDR sollen erhalten bleiben, welche (und wohin) verlagert werden, welche ersatzlos entfallen?
 
Antwort der Hörfunk-Intendanz: BDR hat in den letzten Jahren laut Umfrage ein Drittel seiner Hörer verloren. Die Fremdsprachen-Anteile werden erhalten bleiben. Das Musikformat wird mittlerweile von den reformierten Regional-Programmen abgedeckt. Die Kombination mit FM4 war nicht harmonisch. Wir planen eine flotte, frische Musikwelle für die Altersgruppe der x- bis y-jährigen.
 
Reaktion: Bin sehr interessiert an den Details der von Ihnen erwähnten Umfrage - weil ich mir derlei (wie gesagt: als Stammhörer) gar nicht vorstellen kann. Bekomme ich die Unterlagen von Ihnen - oder wo sonst sind sie zugänglich?
 
<In der Folge beschränke ich mich auf die Verfolgung dieses einen Arguments - in gleicher höflicher, hartnäckiger Sturheit werden natürlich auch alle anderen Argumente weiterverfolgt>
 
Antwort der Hörfunk-Intendanz: Wir bedauern, Ihnen diese Informationen nicht zugänglich machen zu können; die Studie war nicht für die Öffentlichkeit gedacht...
 
Brief an die Hörer- und Seher-Vertretung: Die Intendanz Hörfunk beruft sich auf die Vertraulichkeit usw. usw. Es fällt mir schwer, eine öffentliche Verlautbarung zu akzeptieren, die sich auf nicht-öffentliche Fakten beruft. Da SIE meine Interessen vertreten, ersuche ich Sie, Einblick in die Unterlagen zu nehmen, mir möglichst viele Details zu nennen, jedenfalls aber die Aussage der Intendanz zu verifizieren (weil ich mir, wie gesagt: als Stammhörer, einen derartigen Hörerschwund nicht vorstellen kann).
 
Und so weiter. Entweder stimmt, belegbar, womit die Verantwortlichen des ORF argumentieren - dann muss man diese Argumente entweder akzeptieren oder man muss sie sie widerlegen können -- oder man bekommt Verwaschenes, nachweislich Falsches oder Verzerrtes vorgesetzt - dann hat man eine gute Handhabe, dagegen vorzugehen: bei der HSV als Institution; falls die mauert, beim Repräsentanten jener "gesellschaftlich relevanten Institution" in der HSV, die zuständig ist oder zuständig gemacht werden kann; wenn der Repräsentant mauert, bei der Institution direkt.
 
Dies ist der mühsame Weg durch die Instanzen. Jede kluge Maßnahme zwingt das Gegenüber, sich zu deklarieren. So kommt man Schritt für Schritt weiter - auch zu einer eigenen, revidierten,  sachlichen Position. Wenn man nun unterwegs jeden fragt, ob er/sie gegebenfalls bereit wäre, auch in einer größeren Runde seine/ihre Position zu vertreten, hat man bald die Legitimation zu öffentliche(re)m Auftreten...
 
Mag sein, am Ende kommt auch nicht mehr heraus als beim Sichärgern, beim Polemisieren, beim Unterschriftensammeln. Ich würde trotzdem für ein strategisch ausgefuchstes, in der Sache beinhartes, in der Argumentation hieb- und stichfestes, im Ton aber betont zivilisiertes Vorgehen plädieren. Und für die Bereitschaft, gegebenenfalls sogar die eigene Ausgangsposition zu revidieren.
 
Nicht nur in der causa BDR, sondern prinzipiell.
 
Reicht dies jetzt als Reaktion? Darf ich mich wieder aus der Schusslinie zurückziehen? Oder habe ich jetzt reihenweise jeden nur denkbaren Gesprächspartner persönlich aufs Höchste beleidigt?
 
73 de Wolf
 
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Wolf Harranth harranth@xxxxxxx
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