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[A-DX] FAZ: Dona Francisca wird Funkamateurin


  • Subject: [A-DX] FAZ: Dona Francisca wird Funkamateurin
  • From: "Thomas Kamp" <1step@xxxxxx>
  • Date: Sat, 25 Mar 2006 07:18:05 +0100 (MET)

Liebe Liste,

Amateurfunk im Dienste der Entwicklungshilfe - ein lesenswerter Beitrag aus
der heutigen Ausgabe der FAZ, wie ich finde. Bemerkenswert: Die Autoren
verwenden korrekterweise die Bezeichnung "Funkamateurin"...

Vy 73, Tom DF5JL




Entwicklungshilfe
Dona Francisca wird Funkamateurin
Von Andreas Ross, Los Encuentros

24. März 2006 Wie ein High-Tech-Haus sieht Francisca Sevillas Hütte nicht
aus. In der Küche, die nur einige Holzpflöcke vom Revier des hungrigen Viehs
trennen, hat die Nicaraguanerin in der Vertiefung des Lehmofens ein Feuer
entfacht, um Maisfladen zu backen. Trinkwasser fördert ein Brunnen im Garten
zutage. Latrinen gibt es nicht. Weil Dachziegel und Wellblech erfolgreich
der Sonne wehren, liegt das karg möblierte Innere der Hütte auch tagsüber im
Dunkel. Elektrisches Licht haben die rund fünfzig Familien nicht, die in Los
Encuentros leben, einem zersiedelten Bergdorf im Nordwesten Nicaraguas.

Erst beim zweiten Hinsehen fallen die beiden Metallmaste auf, die sich neben
Dona Franciscas Hütte in den Himmel recken. Die eine, hoch über dem
Dachfirst mit einer Querstrebe versehen, dient als Antenne, die andere,
höhere, fängt Blitze ab. Schließlich muß gerade im Herbst, wenn Gewitter und
Orkane die Region heimsuchen, auf Dona Franciscas Funkgerät Verlaß sein.
Dessen Batterie ist mit einem Kollektor auf dem Dach verbunden. Er ringt der
Sonne Energie ab.

?Wenn ein Funkspruch kommt, bin ich zur Stelle?

Die Deutsche Welthungerhilfe hat Dona Francisca und knapp zwei Dutzend
weitere Dorfbewohner in den Landbezirken Limay und Achuapa ausgerüstet und
zu Funkamateuren ausgebildet. Neben den Organigrammen, Landkarten und
Informationstafeln, die den Vorsorgedreiklang des Katastrophenschutzes -
Frühwarnung, Vorsorge, Vorbereitung - schematisch darstellen, fallen all die
Jesus- und Madonnenbilder in Francisca Sevillas Hütte kaum noch auf.

Die Funker sind die Antwort der Entwicklungshelfer auf den Unwillen der
korruptionsanfälligen Regierung in Managua, die arme Landbevölkerung vor
Unwettern zu schützen. Die Dorfkomitees haben selbst bestimmt, wer ihr
Medium zur Außenwelt werden soll - über die Schotterpisten sind während der
Regenzeit kaum die Nachbarorte, geschweige denn die 20 Kilometer entfernte
Bezirkshauptstadt San Juan erreichbar. Am ersten ?Workshop? der
Welthungerhilfe traute Dona Francisca sich kaum teilzunehmen. Aber jetzt
berichtet sie stolz von ihrer privilegierten Stellung. ?Auch wenn meine
Tortillas anbrennen: Wenn ein Funkspruch kommt, bin ich zur Stelle.?

Keine Papayabäume und kaum Bananenstauden

Zu Dona Franciscas Aufgaben gehört auch die tägliche Niederschlagskontrolle
morgens um sieben. Kuh und Esel haben sich längst an den chromblitzenden
Meßzylinder mitten auf dem Grundstück gewöhnt. Das Prinzip des
Katastrophenfrühwarnsystems von Limay und Achuapa ist simpel: Der oben
offene Behälter fängt den Regen auf, die Dorfbeauftragte liest die
Wassermenge ab und funkt die Daten durch.

1998, als beim Hurrikan ?Mitch? allein in Nicaragua nach offizieller Zählung
3.132 Menschen umkamen, ist hier niemand gewarnt oder in Sicherheit gebracht
worden. Im Bezirk Limay starben damals 14 Menschen, drei gelten noch heute
als vermißt. Ein Erdrutsch riß mehr als die Hälfte des Grundstücks von Dona
Francisca und ihrem Lebensgefährten weg. Seither haben sie keine Papayabäume
mehr und kaum noch Bananenstauden, aber immerhin blieb ihr Haus verschont.

?Wir bekämpfen alles, was Hunger verursacht?

?Mitch? bot für die internationale Gemeinde der Entwicklungshelfer den
Anlaß, mehr Aufmerksamkeit auf Katastrophenvorsorge und Frühwarnsysteme zu
richten. Ingeborg Schäuble, die Vorstandsvorsitzende der Welthungerhilfe,
erklärt die simple Logik: ?Wir bekämpfen alles, was Hunger verursacht. Und
Naturkatastrophen verursachen Hunger, weil sie die Existenzgrundlage vieler
Menschen vernichten.? Ein paar Jahre nach ?Mitch? flaute das Interesse der
Helfer, vor allem aber der Geldgeber, an dem Thema schon wieder ab, doch
dann kam das verheerende Seebeben im Indischen Ozean. Nun kommt selbst Bill
Clinton, der UN-Sonderbeauftragte für die Tsunami-Hilfe, zur ?Dritten
Internationalen Frühwarnkonferenz?, welche die Vereinten Nationen von Montag
an in Bonn abhalten.

Die komplexen Tsunami-Warnsysteme für den Indischen Ozean, über die
Ingenieure in Bonn diskutieren werden, haben eines gemeinsam mit dem
Meßzylinder und dem Funkgerät von Dona Francisca: Am Ende hängt alles davon
ab, wie effektiv die Erkenntnis über ein bevorstehendes Unglück
weitergeleitet wird und zu rechtzeitiger Evakuierung oder anderen
Schutzmaßnahmen führt. Bei der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit
(GTZ), die im Auftrag der Bundesregierung ebenfalls vielerorts
Katastrophenfrühwarnprojekte unterstützt, hoffen die Fachleute deshalb, daß
die Bonner Konferenz Impulse zur Integration der einzelnen lokalen Systeme
bringt.

Über reißende Flüsse hinweg in Sicherheit bringen

So wichtig es sei, die Menschen selbst mit den Vorsorgemaßnahmen zu
betrauen, sagt GTZ-Mitarbeiter Thomas Schaef, so entscheidend sei letztlich,
daß aus den Einzelprojekten straff organisierte nationale
Katastrophenschutzsysteme erwüchsen. Für Entwicklungshelfer sei es immer
mühsam, arme Regierungen für präventive Schutzmaßnahmen zu gewinnen. Die
Linderung der akuten Not erscheine ihnen meist dringlicher. Aber durch die
über die Länder verstreuten Pilotprojekte der unzähligen Hilfsorganisationen
soll ein Druck von unten auf die Regierungen entstehen, selbst in den
Katastrophenschutz zu investieren.

So arg wie ?Mitch? hat seither kein Sturm die Gegend von Limay getroffen,
aber mindestens ein Hurrikan pro Jahr touchiert die Region. Das seichte
Flüßlein, das unterhalb von Dona Franciscas Haus in der Märzhitze eher ruht
als fließt, wird dann zum gefährlichen Strom. Bemerkt die Funkerin ein
starkes Hochwasser, warnt sie die Dörfer flußabwärts. In Limay und Achuapa
sind ?Rettungsbrigaden? ausgebildet worden, die Verletzte noch über reißende
Flüsse hinweg in Sicherheit bringen können. Beim Hurrikan ?Beta? im vorigen
Jahr hat sich das ausgezahlt. In beiden Landbezirken kam niemand zu Schaden.

Funken gegen Liebeskummer

Doch Dona Francisca muß nicht auf große Naturkatastrophen warten, um ihre
Kenntnisse des Funkalphabets zur Anwendung zu bringen. Es gibt genügend
kleine Katastrophen, bei denen sie nun helfen kann, denn sie kann einen
Krankenwagen nach Los Encuentros rufen. Vier- bis fünfmal im Monat ruft sie
die Ambulanz, verhandelt mit dem Fahrer über das Benzingeld und treibt es
notfalls selbst von ?ihren? Patienten ein, damit die Sanitäter auch beim
nächsten Mal noch kommen.

Und manchmal bekommt sie dieser Tage Besuch von einer jungen Frau, deren
einziges Leiden Liebeskummer ist, weil sie sich in einen Mann im Nachbarort
verliebt hat. Über Funk sprechen die beiden miteinander. ?Aber wenn es zu
toll wird?, sagt Dona Francisca streng, ?muß ich auf die beiden leider
auffordern, die Funkdisziplin einzuhalten.?

Text: F.A.Z., 25.03.2006, Nr. 72 / Seite 9
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