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[A-DX] Meine Nächte mit den Medien oder Wellenreiten im Schlaf
- Subject: [A-DX] Meine Nächte mit den Medien oder Wellenreiten im Schlaf
- From: "Karsten Simon" <karstenpg.simon@xxxxxx>
- Date: Fri, 15 Feb 2008 00:07:32 +0100
Martin hatte so ähnlich getitelt, das habe ich gefunden (der Inhalt entschädigt hoffentlich für die Länge): Meine Nächte mit den Medien oder: Wellenreiten im Schlaf Ich bin weder dazu ausgebildet noch verpflichtet, mich für Technik zu begeistern, und lasse es leichten Herzens bleiben. Funkelnde Augen kriege ich nur, wenn es um Weltempfänger geht. Nicht so einen von Rudis Resterampe für zehn Euro, der kaum übers 49-Meter-Band hinausgeht. So was nehmen überbezahlte Rentner nach Mallorca mit zum Überwintern, damit sie ja kein Fußballspiel zu Hause verpassen. Mein Radio ist der legendäre Captain 55 von Sony und macht mit seinem emsigen Fiepsen und Düdeln den Mangel an einem Fernseher mehr als wett. Für irgendeine "Stimme Venezuelas" auf Finnisch oder einen Country-Sender live aus Nashville reicht er allemal. Zu den erhebendsten Informationen für jeden bewussten Mediennutzer zählt, dass das Rauschen aus einem Weltempfänger nichts Geringeres ist als der Nachhall des Urknalls. So besucht mich jede Nacht die Geschichte des ganzen Universums in meinem Bett. Enorm auch die räumliche Ausdehnung des Radioprogramms: Alle Länder, die irgendwie östlich liegen, haben aus ihrer kommunistischen Vergangenheit haufenweise leistungsstarke Rundfunkanlagen übrig. Damit verbreiten sie, wie gut sie es heute haben. Eigentlich genau wie früher, nur dass man es jetzt auf der ganzen Welt hören darf. Zum Beispiel bei mir im Bett. Jedes Land der Welt tut mehr für seine Fans, als der gemeine Fernsehgucker glaubt. Anfangs klingt alles wie durchs Telefon. Erst mit der Zeit lernt man, Polnisch von Tschechisch oder Türkisch von Arabisch zu unterscheiden, und ob es um die Innenpolitik oder jüngsten sportlichen Leistungen des jeweiligen Landes geht. Dreimal die Woche ein Stündchen zugehört, und man versteht alles, ohne je ein Wort gelernt zu haben. Ein bisschen verliebt bin ich in den Moderator des norwegischen Musikprogramms. Als Nordländer ist er sicher groß und blond und entspricht so einem rührend antiquierten Schönheitsideal. Immer wenn ich ihn treffe, spielt er etwas hunnisch anmutende Schlagermusik und vermittelt Fakten über sie, die seinem Tonfall nach sehr wissenswert sind. Am freundlichsten sind die Chinesen. Bei gutem Wetter empfange ich Radio Peking besser als meinen Lokalsender auf UKW. Sie beschäftigen meistens Frauen, die so unbeirrbar lieb lispeln, als ob sie genau wüssten, dass sie aus dem Lautsprecher auf der Bettdecke über meinem Bauch herausplaudern. Einer besonders putzigen habe ich einmal einen Brief geschrieben. Die Sender mit globaler Reichweite wollen das. Sie sind auf Sendeberichte von ihren Hörern angewiesen. Ich weiß nicht, ob mein Brief die nette Moderatorin persönlich erreicht hat, die ich mir gern in einem goldbestickten Seidenkimono und Holzpantinen vorstelle. Jedenfalls bekomme ich bis heute regelmäßig Post von Radio Peking, jedes Mal mit einem liebevoll aus Chinapapier ausgeschnittenen Drachen oder einem Glückskeks drin und den allerbesten Wünschen für mich und meine Familie. In China verstehen sie was von Kundenpflege. Wenn ich groß bin, kauf ich mir eine zwetschgenbaumlange Antenne, die auch die richtig abgelegenen Tropensender reinholt. Wellenreiten mit dem Weltempfänger fühlt sich an wie Surfen in einem rein akustischen Internet. Gerade mir als auditivem Typ gibt das ein Gefühl dafür, dass die Erde rund ist. Die technischen Mittel sind altmodisch, deshalb ausgereift. Dem Hobby haftet etwas Spießiges an, wie dem Briefmarkensammeln oder Hasenzüchten, man weiß sich also in ernsthafter, friedliebender Gesellschaft. Leider dreht man immer viel zu laut auf, wenn man hinter dem Rauschen des Weltalls eine menschliche Stimme vom anderen Ende der Welt erlauschen will, und merkt es nicht. Heute habe ich die ganze Nacht Nachrichten auf Radio Kanada gehört. Zurzeit ist die Großwetterlage recht unbeständig, sodass mir ständig die Frequenz verschwamm. Das war ein Heidenlärm, der sicher durch alle Wände drang, aber darauf konnte ich bei meiner Jagd nach Programminhalten keine Rücksicht nehmen. Ich war nämlich auf eine Sendebestätigung aus. Als ich alle Daten beisammen hatte, entschlummerte ich zur rätoromanischen Rosenkranz-Frühandacht auf Radio Vatikan. Im Treppenhaus, als ich meinen Sendebericht an Radio Kanada einwerfen ging, mit geröteten Augen, aber innerlich leuchtend von der beglückenden Nacht, traf ich Herrn und Frau Grundübel, meine Vermieterfamilie. "Guten Morgen, Frau Grundübel! Guten Morgen, Herr Grundübel!" rief ich fröhlich. Grundübels grüße ich immer extrafreundlich. Sie guckten trotzdem leicht konsterniert, weil für Grundübels um halb zwölf längst kein Morgen mehr ist. Von allein stehenden jungen Damen sind sie andere nächtliche Geräusche gewöhnt, aber die Miete ist wirklich okay. "Hätten Sie je geahnt, dass der Prinz von Dänemark heute schon zum zweiten Mal die Hafenanlagen von Murmansk besichtigen kommt?" versuchte ich ein Schwätzchen anzuknüpfen. Ein Ereignis von nicht zu unterschätzender Tragweite, auch und gerade für die russischen Beziehungen zu Kanada - liegt doch Dänemarks größte Insel Grönland praktisch vor Kanadas Haustür; auf der anderen Seite sind Russland und Kanada nur durch Alaska getrennt! Sie guckten noch konsternierter. Grundübels haben CNN. Aber keinen Schimmer, was auf der Welt vor sich geht. posted by Dichterliebchen -- ----------------------------------------------------------------------- Diese Mail wurde ueber die A-DX Mailing-Liste gesendet. 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