[A-DX] Gastkommentar im ADDX-Kurier 08/2105

Herbert Meixner
So Aug 2 17:16:54 CEST 2015


Die Freiheit, sich zu informieren –
was Internet und Radio verbindet

Information ist die Grundlage öffentlicher Meinungsbildung. Nur wer über 
Ereignisse
und Stimmungen einigermaßen vollständig informiert ist, kann sich
eine Meinungbilden, politisch aktiv werden, sich als Bürger im besten 
Sinne verhalten.
Radio war das erste Massenmedium, das sich nicht ohne Weiteres von Zensur
aufhalten ließ. Die Nachrichten-Bureaus und Zeitungshändler mussten sich
zur ersten Blüte des Radios noch auf Arrangements mit den staatlichen 
Zensurbehörden
einlassen. Im Zweifel wurden Nachrichten unterdrückt oder auch ganze
Zeitungsausgaben einkassiert. Das Augenmerk der Zensoren richtete sich
besonders auf die Darstellungvon Kriegsverläufen, wirtschaftlicher Situation
und strategischen Analysen in ausländischen Zeitungen. Nach dem Beginn des
Zweiten Weltkrieges und während des Kalten Krieges wurde Kurzwellenradio
zur oft einzigen Quelle von Nachrichten aus dem Ausland, denn Radiowellen
machen an Grenzen nicht halt.

Und so versuchten – und versuchen – allerorten die jeweils Herrschenden, 
Informationsweitergabe per Funkwellen zu kontrollieren. Der Empfang von
„Feindsendern“ wurde unter Strafe gestellt, Frequenzen gestört. Feindsender-
Hörer versuchte man technisch anzupeilen, ihre Antennen von den Dächern zu
reißen. Die Rechtfertigung dafür: Es handele sich bei den Ausstrahlungen des
Gegners ohnehin nur um Propaganda, dazu angetan, die Wehrkraft und die Moral
zu zersetzen und die schutzlosen Gehirne der Hörer zu verwirren. Das war 
sicher
nicht gänzlich falsch. Unter den Bedingungen der Abwesenheit von 
einigermaßen
objektiven, neutralen Informationsquellen bleibt dem Interessierten jedoch
nichts anderes übrig, als wenigstens beiden Seiten zuzuhören und daraus
seine Schlüsse zu ziehen.

Das Internet als Metamedium, in dem alle alten Medien aufzugehen scheinen,
hat seine eigenen Gesetzmäßigkeiten im Umgang mit Zensurversuchen.
Lange kursierte der Mythos, Informationen im Netz seien quasi nicht zu 
zensieren.
Spätestens seit den Ereignissen in Iran, Ägypten, Libyen und Syrien dürfte
aber auch dem letzten Idealisten klargeworden sein, dass Diktaturen durchaus
Mittel und Wege der Informationskontrolle im digitalen Zeitalter finden 
und in die
Praxis umsetzen. Die Technologie an sich ist nicht mehr länger ein 
effektiver
Schutz vor Zensoren, die genügend Ressourcen aufwenden können, um das
Netz in ihrem Land zu kontrollieren.

Und auch in Deutschland wird de facto zensiert, wenn auch in anderer Form.
Dass die öffentlich-rechtlichen Sender Beiträge – die mit den 
Rundfunkgebühren
von uns allen bezahlt wurden – wieder aus dem Netz entfernen müssen, um
des lieben Friedens mit den Privatmedien willen, ist eine Form der 
Zensur. Die
Rückschau, der Zugriff auf die Archive, sind essenzielle Bestandteile 
von Bildung
und Meinungsbildung. Dass dieser Zugriff nicht mehr länger online möglich
ist, unterstützt die in der Politik immer häufiger anzutreffende „Was schert
mich mein Geschwätz von gestern“-Haltung.

Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben: den profitorientierten 
Medienunternehmen, die ganz selbstverständlich ihre Archive verfügbar 
halten.
Dafür, dass die Kastration der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz die 
angespannte
wirtschaftliche Situation im Privatsektor verbessern würde, gibt es 
wenig Anzeichen.
Und was geschieht, wenn auch dort die Onlinearchive mangels Werbeeinnahmen
verschwinden? Dann stehen wir ohne jegliche digital zugreifbare jüngere 
Geschichte da.

Frank Rieger im DLF-Info
Frank Rieger, Jahrgang 1971, ist einer der Sprecher des Chaos Computer 
Clubs. Er ist technischer Geschäftsführer eines Unternehmens für 
Kommunikationssicherheit sowie Mitgründer erfolgreicher deutscher 
Start-up-Unternehmen in den Bereichen Datensicherheit, 
Navigationsdienste und E-Reading. Zusammen mit Constanze Kurz 
veröffentlichte er 2011 das Buch „Die Datenfresser“.