[A-DX] AUT: Geschichte Radiopiraten

Herbert Meixner
Fr Apr 7 13:43:57 CEST 2017


http://schallspuren.o94.at/radiopirat_innen/

Unter "Galerie" Fotos aus der damaligen Szene.

Als am 1. Oktober 1924 die Radio-Verkehrs-AG, kurz RAVAG den 
Radiosendebetrieb aufnahm, bestand bereits ein Sendemonopol gegen das 
der sozialdemokratische Freie Arbeiter-Radiobund opponierte. Bis 1997 
sollte sich an den Gesetzen, die nur einer Medieninstitution – nach dem 
Krieg dem ORF – das Senden erlaubte, nichts Wesentliches ändern. 
Gegenstimmen gab es vermutlich vereinzelt immer, aber es sollte bis in 
die 1970er Jahre dauern, dass es in Österreich erstmals wahrnehmbare 
Radiopirat_innen gab, die sich anschickten, die Brecht’sche Forderung 
nach der Umwandlung des Radios von einem Distributions- in einen 
Kommunikationsapparat zu vollziehen.
Anfänge der Radiopiraterie in Österreich

In vielen europäischen Ländern gab es in den sechziger und siebziger 
Jahren die Forderung nach der Aufhebung des Rundfunkmonopols und zum 
Teil eine sehr aktive Radiopirat_innenszenen mit Sendeanlagen auf 
Schiffen, von benachbarten Ländern aus etc. In den siebziger Jahren 
wurden dann in den meisten Ländern Westeuropas (allerdings nicht in 
Großbritannien) und auch in Italien Freie Radios zugelassen oder 
zumindest toleriert. Österreich hinkte hier wie in vielen anderen 
gesellschaftlichen Veränderungen hinterher, an Freies Radio war in den 
siebziger Jahren nicht zu denken, dennoch gab es Radioaktivitäten 
jenseits des ORFs.

In Wien gab es im Ökodorf, das als Gegenbewegung zur UNO-City im Prater 
Ende der siebziger Jahre bestand, Kurse von internationalen 
Radiopirat_innen für Interessierte. In Graz bauten Studierende an der 
Technischen Universität einen Sender, mit dem vom Balkon einer 
Lehrerwohnung aus einige Monate lang 1979 jeweils ein 15minütiges 
Programm – Ö-Frei – ausgestrahlt wurde bis die Post den Sender entdeckte 
und beschlagnahmte. Angeregt von diesen Bemühungen bildete sich auch in 
Wien eine Gruppe von Radiopirat_innen. Die Sendersuche gestaltete sich 
schwierig, denn Sender konnte man in Österreich nicht kaufen, sondern 
sie mussten aus Italien beschafft werden. Das Knowhow für die technische 
Lösung zur zeitgleichen Schaltung mehrerer Sender an verschiedenen 
Standorten lieferten polnische Radiomacher_innen, die für die 
Gewerkschaft Solidarność freie Sender betrieben. Damit konnte man die 
Senderpeilung der Post für einige Zeit austricksen und so länger als die 
üblichen 15 Minuten, die normalerweise das Limit durch die Funkpeilung 
darstellten, ausdehnen. Die Sendungen wurden von kleinen Redaktionsteams 
gestaltet – man arbeitete nach konspirativen Grundsätzen, was den 
Austausch über Inhalte, Richtung der Sendungen oder auch die Öffnung für 
neue Radiomacher_innen erschwerte. Letztlich gelang es nur für einige 
Monate im Frühling 1980 zu senden, danach endete die Sendetätigkeit von 
Ö-Frei in Wien.
Zeitgeschehen und Radiopiraterie

Ende der 1980er Jahre gab es die nächsten Radiopirat_innenaktivitäten in 
Wien. Im Zuge eines massiven Sozialabbaus und der Privatisierung der 
Verstaatlichten Industrie kam es ab Oktober 1987 zur Ausstrahlung von 
Pirat_innensendungen, die diese Veränderungen kommentierten und 
kritisierten. Radio Sozialfriedhof lieferte Informationen zu den 
Student_innen- und Arbeiter_innenstreiks und ließ Betroffene zu Wort 
kommen. Die Sendung von Radio ÖGB – Österreich geht’s blendend wurde 
aufgrund der Thematik – Zerschlagung der Verstaatlichten Industrie – im 
November 1987 neben Wien auch in Linz und in der Obersteiermark 
ausgestrahlt. Der ORF berichtete über dieses Aufbegehren der 
Gesellschaft nur zögerlich oder negativ, was wiederum die 
Radiopirat_innen bestärkte: Radio Sprint stellte im November 1987 als 
Reaktion auf die Berichterstattung des ORFs erstmals die Forderungen 
nach werbefreien nicht-kommerziellen Radiostationen im lokalen Bereich.

Radio Rücktritt im Februar 1988 reagierte auf das Schweigen von Kurt 
Waldheim im Zusammenhang mit seiner nationalsozialistischen 
Vergangenheit und forderte den Bundespräsidenten zum Rücktritt auf. Auf 
der Frequenz von Ö3 wurde außerdem zur Anti-Opernballdemonstration 
aufgerufen. Radio Widerstand thematisierte in einer dreiteiligen 
Sendereihe im März 1988 den Anschluss an Nazideutschland und die 
Widerstandsbewegung und strahlte dabei ein von Georg Danzer gedichtet 
und gesungenes „Waldheimlied“ aus:

„(...) Ich hab nur meine Pflicht getan / Ich bitte um Geduld / Weil ich 
mich nicht erinnern kann / Das ist nicht meine Schuld / Vielleicht 
erinnert sich mein Pferd / auf dem ich damals ritt / Das Pferd es kam 
vom Wege ab / und ich ritt eben mit (...)“

Einer der bei Radio Widerstand verwendeten Sender wurde bei der dritten 
Ausstrahlung am 20.3.1988 von der Post in einer Abbruchvilla in Döbling 
nahe der Amtsvilla des Bundespräsidenten beschlagnahmt (Fotodokumente 
von Robert Newald). Die Radiopirat_innen legten daraufhin eine 
Sendepause ein und als „Nachzügler“ forderte Radio Notwehr schließlich 
im Februar 1989: „Gebt uns ORF: Österreichische Radiofreiheit“. Diese 
Sendung entstand anlässlich der öffentlichen Vorstandssitzung der FERL – 
Europäische Föderation Freier Radios am Leopoldsberg in Wien, wo eine 
Liberalisierung des Rundfunks gefordert wurde und man im Vorfeld bei der 
Post um eine Sendegenehmigung für die Übertragung der Diskussion 
angesucht hatte. Da man weder eine Ablehnung noch eine Zustimmung 
erhalten hatte, ging die Diskussion am 18.2.1989 um 18.00 Uhr on Air, 
wurde aber bereits nach kurzer Zeit von der Post gestört und der Sender 
beschlagnahmt. Die Forderungen wurden aber von Radio Notwehr mittels 
einer vorab aufgezeichneten Sendung mit den FERL-Vertreter_innen dennoch 
ausgestrahlt.
Radio in Europa – Europäische Föderation Freier Radios (FERL)

Die österreichischen RadioaktivistInnen waren in diesen Jahren nicht nur 
als Pirat_innen aktiv, sondern sie formierten sich auch und stellten 
politische Forderungen nach einer Öffnung des Rundfunks und vernetzten 
sich mit der europaweiten Radioinitiative FERL. Die FERL war 1986 von 
Delegierten aus sieben Ländern gegründet worden und hatte sich zum Ziel 
gesetzt Freie Radios in Europa, dort wo es sie noch nicht gab zu fordern 
und ihre Gründung durch Kooperation und Wissensaustausch zu fördern. 
Eine „Charta der Freien Radios“ wurde im August 1989 ausgearbeitet und 
diente in der Folge auch den österreichischen Radioaktivist_innen als 
Grundlage bei der Formulierung ihrer Forderungen an den Gesetzgeber.

Die Liberalisierung des Rundfunks wurde auch vom Europäischen Parlament 
unterstützt, dass am 26.5.1989 den Beschluss fasste, dass die 
Regierungen den Frequenzbereich im UKW Bereich so zu regeln haben, dass 
„möglichst viele gesellschaftliche Gruppen mit ihren Anliegen zu Wort 
kommen können“ (Eva Brunner-Szabo: Medien im Widerstand. Dissertation 1989).
Medienpolitik

Diesen Ansprüchen stand die Medienlandschaft in Österreich diametral 
entgegen. Im Zeitungsbereich herrschte eine hohe Konzentration einiger 
weniger Zeitungstitel mit marktbeherrschender Stellung, im Hörfunk- und 
Fernsehbereich gab es das Monopol des ORF. In den Nachbarländern 
strahlten nur kommerzielle Radiosender deutschsprachiges Programm nach 
Österreich aus und im August 1989 trafen der ORF und der 
Zeitungsherausgeberverband überdies ein Übereinkommen zum gemeinsamen 
Projekt Radio-Print, das die Vergabe jeweils einer Radiofrequenz pro 
Bundesland an die auflagenstärksten Zeitungen vorgesehen hätte, was eine 
weitere Konzentration von Medienmacht in einigen wenigen Händen bedeutet 
hätte.

Es erscheint aus heutiger Sicht nicht verwunderlich, dass diese Zustände 
medienkritische Menschen auf den Plan riefen und es im November 1989 zur 
Gründung des Vereins „Plural FM“ in Wien kam. Dieser Verein ging aus der 
„Projektgruppe für Meinungsvielfalt in demokratischen Medien“ hervor und 
forcierte die medienpolitische Debatte in Österreich, indem mit 
Radioinitiativen in den Bundesländern, auf universitärer und auf 
europäischer Ebene kooperiert wurde und gemeinsam mit den Grünen und 
Juristen ein Gesetzesentwurf für Privatradio ausgearbeitet wurde.

Im Zuge der Pirat_innentätigkeit entstanden Kontakte zwischen 
Radioaktivist_innen in Laibach, Bozen und Kärnten und „Radio UFO – 
Anderes Radio für Kärnten“ ging im März 1989 von Italien aus mit 
deutsch- und slowenischsprachigem Programm auf Sendung. Radio Sonntag, 
ebenfalls eine Radioinitiative in Kärnten, die von Italien aus sendete, 
wurde vom Verein Agora getragen. Er reichte schließlich beim 
Europäischen Gerichtshof in Straßburg eine Klage wegen Verletzung des 
Artikels 10 der „Europäischen Menschenrechtskonvention“ (Recht auf freie 
Meinungsäußerung und passive und aktive Informationsfreiheit) ein, der 
im November 1993 stattgegeben wurde und die letztlich die Reform des 
Regionalradiogesetzes Mitte der 1990er Jahre in Österreich bewirkte und 
das Senden für privates kommerzielles und nicht-kommerzielles Radio 
ermöglichte.
Dritte Welle der Radiopirat_innen in Wien

Am 31. März 1991 fand in Wien ein „Pirate Radio Day“ statt, anlässlich 
dessen Radio Boiler eine 15minütige Sendung ausstrahlte. Radio Filzlaus 
– das erste Wiener Warmenradio, Radio Breifrei und Radio Hotzenplotz 
folgten in den nächsten Monaten – viele der Sendungsteams entstanden im 
Umkreis der Technischen Universität – z.B. Radio TU – bzw. wurden von 
Studierenden mit technischem Wissen unterstützt. Sisters in Voice, eine 
feministische Sendung und das Schüler_innenradio Bastard zeigen bereits 
die große inhaltliche Bandbreite der sich immer mehr entwickelnden 
Pirat_innenradioszene, die Kultur- ebenso wie Politik oder Musikthemen 
behandelte. Zur aktivsten Phase im Winter 1992/93 gab es in Wien ein 
mehrstündiges tägliches Programm plus einer Gemeinschaftssendung am 
Sonntag, die live aus der TU gesendet wurde.

Die Postbehörden beschlagnahmte in dieser Zeit immer wieder 
Sendeanlagen, die zum Teil im Wienerwald, zum Teil auf den Dachböden 
oder Dächern hoher Gebäude oder an der TU selbst, die einen gewissen 
Schutz vor Verfolgung dank der damals von Polizei und Behörden noch 
respektierten Autonomie bot, befanden. Die Kosten, die durch die 
kontinuierlich notwendige Neubeschaffung von Sendern und verhängte 
Verwaltungsstrafen entstanden, wurden durch Spenden, 
Benefizveranstaltungen und die so genannte „Piratensteuer“ in Lokalen 
bei Kultur- und Konzertveranstaltungen aufgebracht. Dennoch war klar, 
dass durch die Verschärfung der Gesetze, die eine empfindliche Erhöhung 
der Geldstrafen nach sich zog und die widrigen Bedingungen des Sendens 
kein wirklich Freies Radio ermöglicht werden konnte und so wurde die 
Pirat_innentätigkeit Ende 1993 größtenteils aufgegeben.

Die Gruppe der Aktivist_innen hatte sich bereits früher gespaltet – 
einmal gab es eine Gruppe, die in Gemeindebauten vor allem mit 
Alternativprogramm das ORF-Programm überstrahlte und zum Beispiel zu 
politischen Kundgebungen aufrief. Daneben gab es die oben geschilderten 
Radiopirat_innen, die vor allem auf der Frequenz 103.3mhz, ab März auf 
107.3 mhz aussandten. Ein kleiner Teil dieser Gruppe setzte die 
Radiopirat_innensendungen auch nach 1993 noch fort, der Großteil schloss 
sich aber der bereits seit Sommer 1991 bestehenden Pressure Group Freies 
Radio an oder war ohnedies bereits ein Teil derselben. Die Pressure 
Group führte schließlich 1993 zur Gründung des „Verein Freies Radio 
Wien“ und zum Kampf um eine legale Sendefrequenz.

Margit Wolfsberger

Literaturhinweis: Another Communication is Possible. Triales 
Rundfunksystem und die Geschichte der Freien Radios in Österreich. 
Johanna Dorer. In: Medien & Zeit 3/2004, S. 4-15.