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[A-DX] Der Mann, der den Fußball-Funk brachte: Bernhard Ernst


  • Subject: [A-DX] Der Mann, der den Fußball-Funk brachte: Bernhard Ernst
  • From: "Florian Usner" <Florian-Muenchen@xxxxxxxxxxx>
  • Date: 26 Dec 2008 09:41 GMT


Quelle: www.spiegel-online.de


Der Mann, der den Fußball-Funk brachte

Er kam, sah und wollte begeistern: Doch statt eines packenden Kommentars
von Bernhard Ernst lief bei der ersten Fußball-Radioübertragung in
Deutschland 1925 nur Rauschen über den Äther. Am Ende ging der
Sportreporter doch noch auf Sendung - mit einem Telefonhörer statt einem
Mikrofon. 

Das änderte sich für immer am 1. November 1925. An diesem Tag setzte
sich ein gewisser Dr. Bernhard Ernst neben einem Fußballplatz im
westfälischen Münster vor ein unförmiges Mikrofon am Spielfeldrand, um
das erste Fußballspiel überhaupt live im Radio zu kommentieren. Der
Reporterplatz befand sich hinter einem der beiden Tore, um so nah wie
möglich am Geschehen dran zu sein. Zur Befestigung - und zum Schutz -
des Mikrofons diente ein mit Maschendraht versehenes Hockeytor. 

Die Rundfunkübertragung schlug ein wie eine Bombe. Die Zahl der Hörer
des neuen Mediums explodierte in diesen Jahren. Nur 10.000 waren es im
Jahre 1924. Als im Juni 1926 das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft
zwischen der Spielvereinigung Fürth und Hertha BSC Berlin (4:1)
übertragen wurde, schätzte man die Zahl der Fußballverrückten, die zu
Hause am Rundfunkgerät live mit dabei waren, bereits auf etwa 400.000.
Ende 1926 hatte das neue Medium gar 780.000 Anhänger erreicht. 

Nackt am offenen Fenster 

Wie viele Hörer zu Allerheiligen anno 1925 vor den Empfängern saßen, als
Radiopionier Ernst zur Fußballpremiere im Äther bat, ist nicht
überliefert - sehr viele werden es kaum gewesen sein. Schließlich
übertrug Ernst nur das Oberliga-Spiel Preußen Münster gegen Arminia
Bielefeld, und die Sende- wie Empfangsmöglichkeiten waren beschränkt. 

Überliefert ist allerdings, mit welchen Problemen Ernst sich damals
herumschlagen musste, um seine historische Reportage zu senden.
Eigentlich schien alles gerichtet, nichts stand nach Meinung der Macher
der "Westdeutschen Funkstunde" (dem Vorgänger des heutigen WDR) der
Uraufführung im Wege. Doch als Reporter Dr. Ernst kurz vor dem Anstoß
seine Hörer begrüßen wollte, drang keines seiner zuvor wohlüberlegten
Worte nach draußen. Enttäuschung machte sich breit. Schließlich hatte
bei der Generalprobe am Vortag alles wie am Schnürchen geklappt. 

Nun herrschte kollektive Ratlosigkeit. Wie konnte das passieren?
Technische Probleme? Ernst mag gar an Sabotage gedacht haben -
schließlich hatte er sich während seiner kurzen Rundfunktätigkeit
durchaus nicht nur Freunde gemacht. Gerade einmal zwei Monate zuvor
hatte er für einen Skandal und ein großes Hallo in der Hörerschaft
gesorgt. Seinen "Funk-Gymnastikkursus", mit dem er die Hörer zur
Morgengymnastik animieren wollte, hatte er mit den Worten beendet:
"Konzentration - offenes Fenster - möglichst nackt!" Ein Aufruhr war die
Folge, und die Sache hatte sogar die Staatsanwaltschaft in Münster
beschäftigt. Aber sollte dies etwas mit dem nun drohenden großen Malheur
zu tun haben? 

Fehlschaltung beseitigt 

Auf die Schnelle jedenfalls war es unmöglich, den Grund für das sich
anbahnende, dramatische Misslingen der deutschen Fußballpremiere im
Radio zu finden. Trotzdem wollte sich das Team um Dr. Ernst nicht
geschlagen geben. Zwecks Verständigung mit dem Funkhaus hatte man eine
zweite, jedoch nur einfache Telefonleitung geschaltet. Nun kam einem
Techniker die Idee, das Mikrofon einfach an diese Leitung zu klemmen.
Und zum großen Erstaunen aller gelang so die Übertragung - wenn auch
unter erschwerten Umständen. Den bedeutenden Moment deutscher Rundfunk-
und Fußballgeschichte schilderte Bernhard Ernst Jahre später so: "Also
begann ich mit einiger Verspätung, dazu mit einem sehr merkwürdigen
Gefühl und mit aus technischen Gründen gebotener, ungewohnter
Stimmstärke meinen ersten Fußballbericht." 

Im Nachhinein gelang es auch, den Verantwortlichen für das gerade noch
verhinderte Fiasko zu ermitteln: Ein ebenso gewissenhafter wie
unwissender Posttechniker stieß irgendwo in den Eingeweiden des in den
Kinderschuhen steckenden Telekommunikationsnetzes auf die neue, bisher
nie dagewesene Schaltung für die Übertragung, die er sich nicht erklären
konnte. Also brachte er die vermeintliche Fehlschaltung kurzerhand
wieder in Ordnung. 

Während bei der Premiere ein Postmitarbeiter fast für das Scheitern der
Übertragung sorgte, verdankten die Radioleute bei der ersten
Live-Übertragung eines Länderspiels einem Postmitarbeiter deren
Gelingen. Als sich am 18. April 1928 im Düsseldorfer Rheinstadion
Deutschland und die Niederlande gegenüberstanden, war auch Dr. Ernst am
Mikrofon wieder mit von der Partie. Allerdings ging es auch diesmal
nicht ohne zahlreiche unvorhersehbare Hindernisse und reichlicher
Verspätung ab. 

10.000 Zuschauer stürmen das Stadion 

Wie zuvor in Münster hatte sich Kommentator Ernst mit seinem Mikrofon im
Stadioninnenraum hinter einem der Tore eingerichtet. Anders als im
beschaulichen Münster kam es nun in Düsseldorf zu einem Ereignis von in
Deutschland noch nie dagewesener Dimension: Über 10.000 Zuschauer ohne
Eintrittskarten stürmten das erst knapp drei Wochen zuvor eröffnete
Stadion, in dem sich bereits 60.000 Besucher befanden. Tausende der Fans
wurden von den Einströmenden in das Innere der Arena gedrängt, und im
Chaos wurden sämtliche Leitungen zum Reporterplatz gekappt. Erneut stand
die Radio-Übertragung auf des Messers Schneide. 

Zwar hatte das Rundfunk-Team, durch Erfahrung klug geworden, ein zweites
Mikrofon an einem sicheren Platz auf der Tribüne aufgebaut. Dort hin zu
gelangen, erwies sich für den Sportreporter allerdings unter den
gegebenen Umständen als nahezu unmöglich. Obwohl das Match mit über
einstündiger Verspätung begann, erreichte Ernst den
Ersatz-Berichterstatterplatz erst eine halbe Stunde nach dem Anpfiff -
nur um verwundert festzustellen, dass sich ein fußballbegeisterter
Postinspektor spontan des verwaisten Mikrofons angenommen hatte und das
Spielgeschehen durchaus fachkundig für die Fans an den
Rundfunkempfängern kommentierte. 

"Das, was am 1. November 1925 die Hand eines Postbeamten dem Rundfunk
angetan, wurde hier in Düsseldorf durch den Mund eines Postkollegen
reichlich wiedergutgemacht", kommentierte Ernst Jahrzehnte später. Auch
an das Düsseldorfer Spiel erinnerte er sich bestens: "Auf einem Bein
stehend" habe er den weiteren Verlauf des Spieles verfolgt, so Ernst
rückblickend: "Wie beneidete ich in dieser Lage die 22 Spieler da unten,
die einen Raum von 110 mal 60 Meter ihr Eigen nennen konnten." Immerhin
versuchten Umstehende, den Reportern ihre unangenehme Lage zu
erleichtern: "Über die Kopf an Kopf Stehenden reichte man uns ein kühles
Glas Bier. Postrat, Sendedirektor und Sprecher teilten sich den Inhalt."


Der vergessene Held von Bern 

Und noch einmal, ein gutes Vierteljahrhundert später, sollte der
Kommentator Ernst Fußballgeschichte schreiben - nur weiß es heute fast
niemand mehr. Als am 4. Juli 1954 in Bern das deutsche Team um Fritz
Walter die ungarische "Wunderelf" vom Platz fegte, war es Bernhard
Ernst, der den Live-Kommentar zu den Fernsehbildern vom "Wunder von
Bern" sprach. Hunderttausende Deutsche erlebten den Triumph unterlegt
mit der Stimme von Bernhard Ernst. Doch Ton- wie Bildmaterial der
Live-Übertragung konnten damals aus technischen Gründen nicht
konserviert werden - und so wurde ein anderer zum Medienheld von Bern
und zum Kultkommentator: ein gewisser Herbert Zimmermann, dessen sich
überschlagende Stimme beim Abpfiff ("Aus! Das Spiel ist aus!") auch
heute noch Hörern eine Gänsehaut macht.

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