[A-DX] OT: Kopfhörer im Test

Christian Schubert
Mi Jan 1 00:52:52 CET 2014


Hallo in die Runde,

habe kürzlich die Kopfhörerwände im MediaMarkt im Berliner Alexa und im Saturn
gegenüber auf dem Alexanderplatz durchgehört. Ok, nicht alle - ich brauchte was
brauchbares für Dolmetscher in einem spirituellen Friedenszentrum in den Schweizer Bergen.
Die haben bei Konferenzen die Kopfhörer auch mal 4 Stunden faktisch am Stück auf,
es woll also weder drücken noch schwitzen. Und es war gefordert, wenigstens halboffene,
idealerweise offene Kopfhörer zu haben - es sind immer 2 Dolmetscher, die jederzeit
dem anderen helfen können müssen, wenn der mal ein Blackout hat. Sie müssen sich
also gegenseitig auch hören können. Letzte Forderung: bitte nicht zu teuer, das Zentrum
leidet wie fast alle Gutmenschen unter chronischem Geldmangel (ja, gibts auch in der
Schweiz, trotz großzügiger Spender).

Erkenntnis 1:
Es gibt unter 100 EUR fast ausschließlich geschlossene Kopfhörer oder solche,
die sowas ähnliches sein wollen. Geplantes Einsatzgebiet offenbar mobil (Straßenlärm)
auch bei den klobigeren Modellen) und vermutlich auch "maximaler Lärm, soll
andere nicht allzusehr stören". In Nutzer-Reviews findet man dann auch häufig Kritik,
wenn der Kopfhörer nicht so dicht ist, daß man die Sprengung des Hauses, in dem
man sich gerade aufhält, nicht komplett draußen bleiben würde.

Erkenntnis 2:
Lumpigster Tragekomfort. Es gibt Kopfhörer für 50 - 70 EUR, die tragen Markennamen,
fühlen sich aber an, als hätte man über eine Kunststoff-Form einen dünnen Stoff gezogen.
Das Sitzgefühl moderner Eisenbahnwagen setzt sich also beim Tragegefühl der
Kopfhörer fort.

Erkenntnis Nummer 3:
Schäbigste Haptik, oft auch schäbigste Optik. Lappriger Kunststoff, irgendwie an
PSA ("persönliche Schutzausrüstung" = Gehörschutz) erinnernd.

Erkenntnis Nummer 4:
Kopfhörer sind ein Lifestyleprodukt. Wie kann es sonst sein, daß viele Kopfhörer
einfach nicht gut klingen, manche Modelle aber in 8 Farben angeboten werden, die von
Magenta über Neongrün und sonstwas natürlich bis zum Apfel-Weiß reichen?

Erkenntnis Nummer 5: die Präsentation der Kopfhörer ist weitgehend auf die Optik
beschränkt. Manchmal hängen die Dinger an 20 cm langen Stahlkabeln und wenn
Musik rauskommt, dann in 48 kbps MP3-Qualität. Kommt besonders gut bei
Denon Highend-Hörern (soweit ich mich erinnere > 400 EUR, aber Tragekomfort
auch nix für mich).


Etwa um 120 EUR fand ich das erste, was ich mir freiwillig selbst gekauft hätte:
http://de-de.sennheiser.com/audio-kopfhoerer-stereo-hifi-tv-hd-518
Saß brauchbar und trug sich zumindest 10 Minuten lang gut. Füttern konnte
ich ihn mit einer Live-Pop-CD brauchbarer Qualität direkt aus einem CD-Player.
Irgendwas "edleres", könnte auch als Tagesfüllmusik auf nem Kulturradio laufen.

Klang: für mich wirklich gut, keine Extreme in Bassfülle oder aggressiven Höhen,
auch keine gegenteiligen Extreme. Aus der Erinnerung heraus durchaus präzise,
saubere, aber nicht grelle Höhen. Hatte freilich keinen Vergleich zu meinen
gewohnten Kopfhörern.

Bei Sennheiser gibt es dazu eine Kundenmeinung und die ist verheerend:
"Die Ohren werden gut umschlossen. Jedoch klingt alles dumpf. Es fehlten die Höhen.
 Der klang ist nicht transparent. Ich habe den Hörer am E-Piano und an der
 Stereoanlage getestet und überall das gleiche Ergebnis. Alles hört sich irgendwie
 matt und dumpf an"

Kann ich nicht nachvollziehen, habe aber halt nur im Laden getestet.


Noch etwas ausgewogener (ja, mit etwas weniger Höhen) klang der nächstteuere:
http://de-de.sennheiser.com/audio-kopfhoerer-high-end-hd-558

Ebenfalls offen, klanglich für mich spontan unspektakulär und mit gewissem
"Verweilfaktor". Wenn ich dann sehe, daß der schon doppelt so viel kostet wie
die beiden Kopfhörer, die ich seit teils 2 Jahrzehnten (AKG K280 parabolic)
bzw. seit 13 Jahren (Beyer DT-531), wird mir ganz anders. Für den Beyer habe
ich mal 149 DM hingelegt. Nein, für 75 EUR fand ich diesmal nichts wirklich
brauchbares...

Beide Sennheiser haben aber im Netz vernichtende Kritiken aus einem anderen
Grund: ihr Kunststoff scheint alsbald spöde zu werden - wohl auch nach einem
Jahr ohne Nutzung in geschlossener Schublade. Ja, schade aber auch...

Beyer fand ich in den Großmärkten nicht. Warum auch immer, da fehlt eine
wichtige Alternative.

Und die Dolmetscher bekommen nun vielleicht die frechsten AKG-Kopien
dieses Universums: http://www.thomann.de/de/superlux_hd681_b.htm
Angeblich sind sogar die mechanischen Teile 1:1 gegen AKG tauschbar.
Und bei 20 EUR kann man nicht viel falsch machen. Vielleicht brechen da
auch nach wenigen Jahren die Endstücken des Doppeldrahtbügels wie beim
großen Vorbild AKG. Servicefreundlichkeit übrigens "6, setzen" oder so.
Nicht wie bei Beyer: Klick, Klack, Teil gewechselt.

Wobei die Dolmetscher vermutlich auch damit zufrieden wären:
http://www.beyerdynamic.de/shop/hah/headphones-and-headsets/at-home/music-pleasure/dt-131.html
Tut in der TV-Version mit LS-Regler in der Schnur bei meinem Vater seit Jahren
brauchbar seinen Dienst und ist aus meiner Sicht so übel nicht.

Aporpos Superlux: die klonen sowohl AKG als auch Beyer (vom Design her, wohl
nicht vom Klang, die AKG-Variante soll man durch Einbau einer Höhenabsenkung
manierlich machen können, pegelfest wird sie davon aber angeblich auch nicht) und
den Kopfhörerverstärker von denen kann man auch mal woanders suchen:

http://www.thomann.de/de/superlux_ha3d.htm

vs.

http://www.sounddevices.com/products/hx3/

Oops... ob auch die Schaltung 1:1 geclont wurde, weiß ich freilich nicht.



> jene Klientel anzusprechen, die "hip" und "cool" sein will.

Die tragen dann ja auch Gehörschutz-große grellbunte Neonteile spazieren
bzw. weiße ebensolche (die, die sich für was besseres halten). Offenbar gar nichtmal
unbedingt zum Hörer, sondern zum Gesehenwerden. Hängen oft genug einfach um
den Hals.


>> In der Kategorie "höherwertige Wohnzimmermodelle"  würde ich auch zu 
>> "beyerdynamic" greifen.

Unbedingt anschauen und anhören, servicefreundlich sind sie zumindest. Nicht jeder mag
den fetten Sound. Manche sind aber wohl auch heute manierlich.


> Zu achten ist nur auf eine niedrige Impedanz; Hörer mit 600 Ohm eignen sich für
> batteriebetriebene Geräte wirklich nicht.

AKG K-240 DF ("Diffusfeldentzerrt nach IRT"): 600 Ohm und am Laptop nur niedrige
Zimmerlautstärke. Dazu erschreckend "dünn" - tja, ist halt kein Kawumm-Hörer. Habe mir
aus 2 geretteten Kapseln mit neuem Bügel, Kabel und Polstern da wieder einen aufgebaut.
Wurde zuvor im Offenen Kanal zerschrottet und in den Müll geworfen.

Die neuen 240er AKG ernten von manchen Kennern böse Kritiken. Wären dem Zeitgeist
akustisch angepaßt worden.

***

Pause... geht auf Mitternacht... ab in den Tempel, Feuerzeremonie, Mantrasingen...

***

So, wieder da.


> Bestimmte Großstadtbewohner sind da nicht allzu zimperlich.

Berlin, Berlin, Dein Herz kennt...


> völlig verbogene Frequenzgänge usw.).

Sindse doch letztlich alle. Und müssen nicht schlecht klingen. Die Ankopplung an den
individuellen Gehörgang entscheidet da eine ganze Menge.


> Es stimmt übrigens: Mit minderwertigen Kopfhörern tendiert man dazu,
> übermäßig laut abzuhören.

Aber nicht wie im Text erwähnt wegen der fehlenden Dämpfung von Außengeräuschen,
sondern weil Bass fehlt bei den billigen Plärrdingern und also soweit aufgedreht wird,
bis das Gehör in die Kompression fährt. Dann wirds "fett" wie im Radio hinterm
Optimod. Dumm nur, daß dann zu den ohnehin barbarischen Höhen noch der
barbarische Klirr dazukommt. Hört man ja in der S-Bahn durch den ganzen Wagen.

Auch falsch: "Bei den Ohrsteckern würden außerdem die Umgebungsgeräusche
nicht komplett verdrängt."

Die zum tief reinstecken ("Schmalzbohrer") können so brutal dicht sein, daß HNO-Ärzte
vor feuchtebedingten Gehörgangschäden / Infektionen warnen, wenn man die Diner
lange trägt.

Ich hatte unterwegs lange Zeit am iRiver H140 (Legende...) die Beipackhörer bzw. die
fast identischen Sennheiser MX-300:
http://www.avland.co.uk/sennheiser/mx300/mx300lrg.jpg
Kein Bass und fielen oft raus. Den Bass konnte ich mir aber dazudenken. Inzwischen ist
eine Eskalationsstufe eingetreten: ich nehme keinen Player mehr auf Bahnfahrten mit.
Ich rufe die Musik im Kopf ab. Einziges Problem: den richtigen Titel finden. Manchmal doch
noch ein zweites Problem: ihn wieder stoppen. Nettes Gimmick: zur Musik läuft auf Wunsch
vor meinen geschlossenen Augen eine NTP-Pegelanzeige nach DIN-Standard.

Und nun: gutes Neues Jahr!

Christian