[A-DX] Wie verlässlich sind Funkwettervorhersagen?

Tom DF5JL
Sa Apr 25 10:28:55 CEST 2020


Wie genau können Funkwettervorhersagen über mehrere Tage sein? Um diese
Frage zu beantworten, müssen wir uns nur die letzte Woche ansehen. Die
"Propagation News" der RSGB sprachen davon, dass die Sonne während der
ganzen Woche ruhig bliebe. Ich dagegen erwartete [1], dass am späten
Sonntag sowie am Montag der Sonnenwind zunehmen und zu vereinzelten
aktiven (Kp 4) Intervallen führen könnte - das mit Blick auf das südlich
gelegene, polare koronale Loch. Ab dem 21.4. sollte der Sonnenwind dann
wieder langsam nachlassen.

Schon am Mittwoch, dem 15.4., gab es einen schleichenden, sich langsam
bewegenden koronalen Massenausstoß (CME) von der Sonne, der in den
Bildern der SOHO-Raumsonde kaum zu sehen war. Dieser CME war jedoch auf
die Erde gerichtet und traf am Montag, dem 20., gegen Mittag ein. Also
deutlich später, als ich angenommen hatte. Andere waren davon
überrascht, dass der CME überhaupt die Erde traf. Zugegeben, dieser CME
hätte auch knapp an der Erde vorbeirauschen können. Das Nettoergebnis,
unabhängig aller Vorhersagen, war, dass der Kp-Index auf fünf stieg und
die MUF nach einer anfänglich positiven Phase, in der sie auf einer
Strecke von 3000 km über 18 MHz stieg, nachteilig beeinflusst wurde. Die
Bedingungen auf der Kurzwelle waren am Dienstag immer noch schlecht, die
Bänder über 20 Meter waren so gut wie geschlossen. Aber glücklicherweise
normalisierte sich die Ausbreitungssituation am Mittwoch wieder.

Nun, was für eine präzise und verlässliche Vorhersage fehlt, sind
zahlreiche Messstationen. Die Meteorologen haben es hier eindeutig
besser. Sie verfügen global über ein weites Netz, selbst auf den weiten
Meeren dümpeln Messbojen vor sich hin, die ihre Daten in engen Abfolgen
an Satelliten weitergeben. Zudem existieren zahlreiche regionale wie
globale Wettermodelle, die auf superschnellen Computeranlagen laufen.
Für die Vorhersage des Weltraumwetters stehen nur wenige Satelliten und
einige wenige Modelle (u. a. NOAA, NASA, ENLIL) zur Verfügung. So
versucht ein jeder, mit den vorliegenden Daten sowie aufgrund seiner
Erfahrung und einem Quäntchen Bauchgefühl sich einer Vorhersage zu
nähern. Doch aufgrund der letztlich wenigen Daten kann es im Ergebnis zu
abweichenden Vorhersagen kommen. Selbst die US-Wetterbehörde NOAA sowie
die USAF, die beide über riesige Rechenzentren wie auch über
Top-Wissenschaftler verfügen - stimmen in ihren Vorhersagen nicht überein.

Und damit wäre die Einstiegsfrage beantwortet: Funkwettervorhersagen auf
Grundlage des Weltraumwetters geben letztlich nur einen Trend an. Es
gibt viele Variablen wie etwa unerwartete Sonneneruptionen, plötzlich
auftauchende Sonnenflecken, die unterschiedliche
Sonnenwindgeschwindigkeit, die schwankende Dichte der Ionosphäre, die
dynamische Temperatur des Sonnenwindes, die wechselnde Ausrichtung des
intergalaktischen Magnetfeldes, die zwar von Satelliten erfasst werden
können, aber dann hat der Sonnenwind schon eine große Strecke hinter
sich. Sie sind nicht präzise vorhersagbar. All das erschwert
verlässliche Angaben, die je weiter wir mit den Vorhersagen in die
Zukunft gehen, in ihrer Treffgenauigkeit abnehmen. Dennoch bleibe ich
dabei: Die Vorhersage eines Trends ist möglich, der aber maximal eine
Orientierung bieten kann. Aber ob sich kommenden Freitag Abend eine
DX-Aktivität ab 17 UT lohnt oder nicht, wie ich kürzlich gefragt wurde,
eine Aussage dazu sechs Tage vorab, das wäre Kaffeesatzleserei.


73, gd dx de Tom DF5JL [2]


--

[1] https://www.facebook.com/funkwetter/posts/3359268557545701

[2] Seit 2007 beschäftige ich mich mit den Ausbreitungsbedingungen und
der Funkwettervorhersage. Anfangs beobachtete ich dazu vor allem die
weltweiten Rundfunkaussendungen, Fernschreib- und Datenverbindungen auf
der Kurzwelle, später kamen auch anderweitige Daten, etwa von
Ionosonden, Magnetometern sowie der Sonnenbeobachtung dazu wie auch
Daten der Satelliten ACE, DSCOVR, SOHO, SDO, GOES und Stereo Ahead.
Entsprechende Ergebnisse und Prognosen werden seitdem täglich auf
Facebook und Twitter veröffentlicht sowie ein umfassenderer
wöchentlicher Bericht auf Facebook und fading.de.