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[A-DX] Neue Technologien



Die Diskussion um DRM ist für mich hochinteressant. Nicht, weil ich für
diesen oder jenen Ausgang plädierte, der am Ende des kostenträchtigen
Projektes eines Monopolanbieters stehen wird (die Einführung des
terrestrischen, digitalen Fernsehens zeigt, wie es geht), sondern weil es
den Blick auf Parallelen lenkt.

Da nun SSB ins Gespräch kam, was die Funkamateure gerne ihren eigenen
kongenialen Forschungen & Entwicklungen zuschreiben - hier liegt der Fall
ziemlich klar:

?Was ist SSB??, fragte die Januar-Ausgabe 1948 der US-amerikanischen
Amateurfunkzeitschrift QST, voll von Beiträgen zu dieser die
Amplituendmodulation AM langsam ablösenden Sprechfunk-Technologie, die auch
60 Jahre nach ihrer Einführung immer noch Kurzwellen-Standard ist; Start der
Ära war der Abend des 21.9.1947, als O.G. Villard jr., W6YX, zum ersten Mal
in SSB auf 80 m sendete. SSB oder ?s.s.s.c? (single sideband suppressed
carrier), wie es sich zunächst abkürzte, beherrscht die folgenden Hefte -
mit Umbau- und Bauvorschlägen, aber auch mit neuen Bauteilen wie Filtern und
stabile(ere)n VFOs. 
In einer Anzeige (8/48) aber räumen die Bell Laboratories mit der sich bis
heute haltenden Mär auf, SSB sei eine Amateurfunk-Erfindung. Stolz verweist
man auf die praktische Einführung der Erfindung von 1915 im eigenen Haus:
1918 die erste Sprechverbindung in SSB über Draht, 1923 die erste
SSB-Verbindung über den Atlantik und 1927 endlich die kommerzielle Anwendung
im Langwellen-Funkverkehr zwischen den USA und Großbritannien - von da aus
explodieren die Anwendungen, besonders im 2. Weltkrieg. Komischerweise gibt
es auf dem Surplus-Markt allerdings lange Jahre keinen echten SSB-Empfänger
oder -Sender!

Desgleichen in der liebenswerten Betriebsart Telegrafie, von Samuel Morse
als "Schreibertelegraf" (!) und Notnagel ab 1833 entwickelt, weil nix
Besseres machbar war. Bell & Reis hatten das Telefon noch nicht erfunden,
und selbst Herr Baudot ließ da mit seinem Fernschreiber noch fast 45 Jahre
auf sich warten. 160 Jahre nach Erfindung der Telegrafie hielten die
Funkamateure immer noch daran fest: Wer das nicht kann, sollte nach ihrem
Willen nicht auf Kurzwelle funken dürfen!

Bezüglich DRM lehrt uns das, dass Technikgeschichte die Vergangenheit recht
gut erklären lässt, kaum aber die Zukunft. Hierzu gibt es nur einige
Indikatoren. Sie alle laufen auf ein eher gesellschaftliches Experiment
hinaus:
* Wie viele und welche Neu-Hörer kann man mit DRM gewinnen, ohne dass jemand
die Frage nach der grundsätzlichen Bedeutung des Kurzwellenrundfunks damit
stellte?

Der - möglichst: kaufkräftige, einflussreiche; also geldwerte - Hörer ist
das Kapital, um das gekämpft wird. Alles andere sind folkloristische
Randerscheinungen / sogar das des technischen Kanals zu ihm.

DRM wird sich nur durch Zwang durchsetzen. Und die Rundfunker werden sich
hüten, selbst diesen Zwang zu setzen. Stellt euch vor, die Deutsche Welle
sagt: Ab morgen nur noch in DRM. Unsere Programme sind so toll, dass wir
dadurch eine Riesennachfrage "generieren", woraufhin die Ersteller gar nicht
anders können, als in diesen Goldenen Apfel zu beissen! Da würde die
weltweite Hörerschaft gleich heute auf vielleicht 20 Personen schrumpfen und
übermorgen würde die DW niemand mehr vermissen. Das Parlament als Finanzier
und Lieferant ausgedienter Parteilinge für die Besatzung solcher Anstalten
würde es vielleicht 2010 merken.

Es gibt ziemlich viele denkbare Szenarien dafür, wie sich die Leute in zehn
Jahren ihre Informationen holen. Nur mal zwei Extrempunkte:
* alles kommt aus einem überall vorhandenen Funknetz (wo WLAN nicht geht,
springen Satelliten ein)
* der klassische (AM)-Rundfunk erlebt eine Renaissance als einziges weltweit
verfügbares Medium, das mit unzensierten Informationen zur Meinungsbildung
beiträgt

Ich neige stark ersterem Szenario zu, es hat neben den besseren technischen
Argumenten die stärkeren Bataillone. Digitaler Kurzwellenrundfunk könnte in
diesem Szenario durchaus eine Rolle spielen. Nur wird das niemanden mehr
"wirklich" interessieren.

73 Nils



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