[A-DX] Aus und vorbei.

harranth at dokufunk.org
Fr Aug 23 18:44:36 CEST 2013


Meine Erinnerungen an den Moskauer Rundfunk - nicht als Hörer, sondern  
als Mensch mit Mikrofon, gelten natürlich auch den Kolleginnen und  
Kollegen, ihren sich im Lauf der Entwicklung mehr oder weniger  
ändernden Arbeitsbedingungen. Wie auch bei uns war der eine oder  
andere Partner dann plötzlich ganz oben, ganz unten oder weg vom  
Fenster - und erstaunlich viele lavierten sich durch, was man ihnen  
(von ein paar ekligen Ausnahmen abgesehen) aus der Ferne nicht gleich  
ankreiden sollten. Und zwei von allen sind sogar gute Freunde geworden  
und geblieben.
Ein paar Anekdoten gehören auch dazu.
Der erste Besuch, offiziell mit meiner Frau, als Touristen,, mit der  
Österreichisch-Sowjetischen Freundschaftsgesellschaft. Bei der Landung  
in Scheremetew fehlten unsere Koffer. Als wir verspätet im Hotel  
ankamen, waren alle Zimmer vergeben und man steckte uns in eine  
Abstellkammer im Keller. Anderenmorgens zur Rezeption gerufen, der  
Anruf der Redaktion. Der Rzeptionist fragt: "Sind Sie Korrespondent?"  
Als ich zurückkomme, hat man uns übersiedelt: In eine Suite in der  
Belle Etage, mit Blick auf den Roten Platz. Aus dem Interview war aber  
nichts geworden. Bei der Abklärung der Fragen wollte ich auch wissen,  
warum Moskau so viele Jahre nach dem Staatsvertrag noch immer eigene  
Sendungen für Österreich habe. Daraufhin war kein Studio frei, und ich  
habe aus der Erfahrung gelernt: von von an hatte ich stets einen  
Recorder dabei und vor jedem Interview exakt ausgelotet, was möglich  
sei und was nicht.
Das schlimmste Erlebnis: Am 16. August bin ich der einzige  
Rundfukmensch einer kleinen Delegation, die im Weißen Haus von  
Parlamentspräsident Ruslan Chasbulatow empfangen wird. Er schimpft auf  
die Bonzen im Kreml, was damals zu erwarten war, usw. Am Abend  
schiffen wir ein, die übliche Fahrt nach St. Petersburg. Am Morgen  
schalte ich mein KW-Radio ein: Putsch in Moskau, das Weiße Haus  
belagert, Chasbulator sitzt fest. Und auch ich sitze fest, auf einem  
Schiff ohne Kommunikationsmöglichkeit, mit dem bisher sensationellsten  
Interview in meinem Job... Einen Tag später hat sich RTL Zugang ins  
Gebäude verschafft, mein O-Ton ist (beinahe) Makulatur, obwohl der  
Beitrag viel gesendet wurde.
Mehr Erfolg hatte ich beim zweiten Putschversuch, im Oktober 1993. Ich  
war zwei Wochen zuvor in Ostankino gewesen, hatte also die Geografie  
des Hauses halbwegs im Kopf; vor allem aber hatte ich die Durchwahl zu  
einem Regieraum im Notizbuch. Und, unverdientes Glück, Dort amtierte  
ein Kollege, den ich zuvor kennen gelernt hatte. Wir gingen live auf  
Sendung, bis er sagte: "Ich muss jetzt Schluss machen. Unten im Hof  
fahren die Panzerautos ein und richten die Geschützrohre auf uns."
Das ist alles lang her, und man verzeihe mir die Nostalgie. Aber es  
hat gejuckt, auf die meist pauschal vorgebrachten Meinungsäußerungen  
zu replizieren, auch ein bisschen im Gedanken an jene Kolleginnen und  
Kollegen, die unter den gegebenen Bedingungen nicht gekuscht sondern  
das System ausgereizt haben: wie sie mein(t)en im Dienst für die Hörer.
73, Wolf
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