[A-DX] R. DARC: Aus für DAB+?

Tom DF5JL
So Aug 2 11:54:28 CEST 2020


"Nachdem sich durch den Aufruf der Politik Millionen von Bürgern ein
angeblich zukunfts-festes Digitalradio gekauft haben, droht nun
möglicherweise ein Rückschlag. Ein Schildbürgerstreich nie gekannten
Ausmaßes bahnt sich in Niedersachsen an", so in etwa hieß es in der
heutigen Sendung von Radio DARC. Von einem vorzeitigen "Aus" für DAB+
war die Rede. Clickbaiting [1] im Sommerloch? Jedenfalls musste für
diese reißerische Ankündigung ein niedersächsischer Landtagsbeschluss
aus Sommer 2019 aus der Mottenkiste geholt werden. Der letztlich für die
Entscheidung DAB+ "ja" oder "nein" unerheblich ist.

Damals hatte die niedersächsische FDP-Fraktion einen Antrag eingebracht:
Da Radio zunehmend übers Internet gehört würde und nicht einmal jeder
zehnte Hörer DAB+ nutze, mache das Festhalten keinen Sinn mehr, so
FDP-Chef Stefan Birkner damals. Hintergrund: Die FDP wollte das Geld
statt in DAB+ lieber in 5G stecken. Der Rest ist Geschichte.

Der Landtag in Hannover machte sich im Juni 2019 geschlossen für ein
Auslaufen der Förderung des Rundfunkstandards DAB+ stark. Nur war schon
damals klar: Die angeblich so teure Doppelstruktur - UKW und DAB+ -
kostet dem Rundfunkbeitragzahler nur etwa 10 Cent des Monatsbeitrags von
17,50 Euro. Und es gab kräftig Gegenwind, vor allem aus der
Staatskanzlei in Rheinland-Pfalz. Dort sieht man in DAB+ die
Möglichkeit, die Radiohörer auch in bergigen Regionen zu erreichen. Auch
andere sprangen der Kritik an der Entscheidung des hannoverschen
Landtags bei: Deutschlandradio-Intendant Raue machte sich in der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ für den Standard stark: „Die
Unterhaltungselektronikbranche ist inzwischen voll auf DAB+
eingestiegen“, schrieb er. Zudem biete der neue Standard auch frische
Angebote: „Viele neue und frische Programme suchen und finden ihre Hörer
und mischen den Radiomarkt auf, öffentlich-rechtliche und private.“ Der
Gerätehersteller Technisat sprach sogar von „Enteignung“ der
DAB+-Nutzer. Denn ab dem 21. Dezember 2020 müssen Radios in Neuwagen
grundsätzlich den Empfang und die Wiedergabe von digital-terrestrischem
Radio, also DAB+, ermöglichen. Dies hatte der Bundesrat mit dem sechsten
Gesetz zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes gebilligt - gemäß
einer Empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie.

Mit dieser Entscheidung setzt die deutsche Legislative EU-Regelungen zur
Interoperabilität beim Radio-Empfang in nationales Recht um. In
Frankreich und Italien sind vergleichbare Bestimmungen bereits in Kraft.
Heike Raab, Medienstaatssekretärin in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz,
letztere ist federführend in Medienangelegenheiten, begrüßte den
Beschluss: „Wir setzen auf Digitalradio, also DAB+. Die Qualität und die
flächendeckende Verbreitung überzeugt überall, auch in den ländlichen
Regionen. Mit der jetzt bundesweit einheitlichen Regelung profitieren
Hörerinnen und Hörer in ganz Deutschland von mehr Programmauswahl und
besseren Klang. Hersteller, Händler und Programmanbieter verfügen über
die nötige Planungssicherheit für die Umstellung ihres Geräteportfolios.“

Und die Doppelversorgung mit UKW und DAB+, wie lange wir diese noch
fortgeführt? Entscheiden dürfte am Ende die Kommission zur Ermittlung
des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), die den Rundfunkbeitrag
empfiehlt. Die erwartet bis 2029 eine Klärung zum Doppelbetrieb. Wie es
danach weitergehen könnte, zeigt ein Blick nach Norwegen: Norwegen war
das erste Land weltweit, das nationale und regionale UKW-Sender
zugunsten von Digitalradio DAB+ abgeschaltet hat. Die Hörerzahlen sind
stabil, täglich schalten laut einer Erhebung von Kantar Media zwischen
62 und 64 Prozent und wöchentlich zwischen 86 und 88 Prozent der Hörer
das Radio ein. Damit ist in etwa das gleiche Niveau wie vor der
UKW-Abschaltung erreicht. Auch der Verkauf von Radios ist positiv zu
bewerten: 2019 wurden insgesamt 650.000 DAB+ Radios verkauft. Darunter
sind 210.000 Autoradios. Seit 2019 sind alle verkauften Neuwagen
werkseitig mit einem DAB+ Radio ausgestattet. Fazit: Die Norweger haben
sehr stark von DAB+ profitiert. Unter anderem ist die Anzahl der
national verbreiteten Programme von zuvor 5 auf 33 gestiegen.

73 Tom


[1] Clickbaits (deutsch: "Klickköder") sollen die Nutzer durch neugierig
machende und reißerische Überschriften ködern (engl: to bait)